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Revenge of Rakazel - Kapitel 7 NEU deutsch

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Kapitel 7 - Die Entführung


„Setz dich doch schon mal." Lian wies auf einen der Stühle, die um den Tisch in der Zimmermitte verteilt standen, während sie zu der Küchenzeile rüber ging um dort zwei Tonbecher mit Wasser zu füllen. Lourdes Blick wanderte immer noch ungläubig durch die Wohnung. Der abgenutzte Tisch und die Stühle sahen aus als hätte ein Laie sie aus alten, wenig soliden Sperrgutresten zusammengehämmert. Überall wo die Lackierung abblätterte war das Holz rissig und splitterte. Und dort sollte er sich setzen? Innerlich sträubte er sich davor, aber er wollte nicht, dass Lian ihn für taktlos hielt. Sorgsam darauf bedacht, sich nicht sein Gewand an einem der unliebsamen Splitter zu zerreißen oder sich im schlimmsten Falle noch daran zu verletzen, nahm er vorsichtig auf dem Rand des angebotenen Stuhles Platz.

Das mürbe Holz knarrte unter seinem Gewicht, als hätte der Stuhl vor jeden Augenblick unter ihm zusammenzubrechen, sodass Lourde steif mit angezogenen Schultern da saß und kaum wagte sich zu bewegen.

Lian setzte sich ihm gegenüber und reichte ihm einen der Becher. Lourde war erleichtert, dass sie ihn jetzt nicht zu einer Unterhaltung drängte, denn im Moment fand er wirklich keine Worte um etwas Passendes zu sagen. Sich vorzustellen, dass Lian ihr Leben in dieser menschenunwürdigen Unterkunft verbrachte, weckte schreckliches Mitleid in ihm. Er nahm den Becher und trank einen Schluck um das beklemmende Gefühl in seiner Brust loszuwerden.

"So schlimm?" fragte Lian. Anscheinend konnte sie ihm die Gedanken vom Gesicht ablesen.

„Nein, das nicht, aber…" Lourde senkte rasch den Blick. „Ich hätte nicht erwartet, dass auch normale Leute in den Slums leben."

„Was hast du denn gedacht, wer hier wohnt?"

Lourde spürte wie er errötete. Jetzt musste er sich zweifellos erklären.

„Nun, ich… Ich meine, ich möchte nicht beleidigend klingen, aber leben im Fuorium nicht ausschließlich Verbrecher und Banditen? Die ganzen Kriminellen die sich hier herumtreiben sind doch auch Schuld an den schrecklichen Verhältnissen im Fourium. Erst heute auf dem Fest habe ich solch eine unmögliche Person gesehen. Er hatte eine abscheuliche Art zu reden. Mich wundert es überhaupt nicht, dass solche Leute unsere schöne Stadt einfach so verkommen lassen."

Anstatt beleidigt zu reagieren lachte Lian." Lourde, jetzt übertreibst du aber. Nicht alle die hier leben können etwas dafür, was aus der Stadt geworden ist."

„Aber die meisten Fuorier haben ihren Ruf bestimmt auch nicht besser verdient…," versuchte Lourde seine Einstellung zu verteidigen. Im Dentrium hatte man ihn ausführlich von den Machenschaften des Fuoriums aufgeklärt.

Lian legte nachdenklich die Stirn in Falten. "Wie viele Fuorier kennst du denn? Gut, ein paar benehmen sich hier bestimmt daneben, aber deswegen ist ja noch nicht gleich jeder ein Verbrecher der hier lebt. Die Leute haben nun mal nicht alle das Glück in einer vornehmen Familie geboren worden zu sein. Ich finde es aber gar nicht so schrecklich hier. Eigentlich geht es uns ganz gut."

„Sag bloß, du lebst mit deiner ganzen Familie in dieser kleinen Behausung?" fragte Lourde fassungslos.

„Mit meinem Bruder", sagte sie. „Unsere Eltern leben nicht mehr und Verwandte haben wir keine hier in der Stadt. Deswegen schauen wir, dass wir alleine um die Runden kommen. Jedenfalls sind wir keine Verbrecher. Wie du siehst arbeite ich, du brauchst also keine Angst zu haben, dass ich mir das Geld mit unseriösen Mitteln beschaffe."

„Oh…" Lourde fühlte sich plötzlich unglaublich mies. Sie war elternlos, genau wie er, und musste zudem noch mit bescheidenen Mitteln in dieser schäbigen Behausung leben. Hatten seine Worte sie wohlmöglich gekränkt?

„Entschuldige bitte. Das tut mir leid…"

„Macht nichts. Das konntest du ja nicht wissen."

Lian erweckte nicht den Eindruck es ihm krumm zu nehmen. Nach wie vor klang ihre Stimme freundlich, geradezu gelassen.

„Aber sag mal, Lourde, macht sich deine Familie eigentlich keine Sorgen um dich?"

Ihr gerader Blick bereitete ihm Unbehagen und er konnte sich nicht anders behelfen, als ihm auszuweichen. Obwohl sie ihm so offen von sich erzählte, hatte er ihr bislang verschwiegen warum er fortgelaufen war. Aber wie sollte er ihr seine Beweggründe erklären? Für einen Menschen, der nichts hatte außer einer kleinen Behausung, musste das doch lächerlich klingen. Trotzdem riss er sich zusammen und entschied sich ihr die Wahrheit zu erzählen. „Auf mich wartet keine Familie, Lian, ich kenne sie nicht einmal. Daheim gibt es nur meine Zofe Mary und meine anderen Vormünder. Und die würden mich am liebsten in meinem Zimmer an einem Stuhl festbinden, wenn sie könnten. Ich wollte einfach nur mal kurz raus und das Fest sehen. Was das für einen Aufstand verursacht hat, konntest du draußen ja sehen. Ich bin auch Schuld, dass die Ritter das Fest gestört haben", gestand er peinlich berührt und nestelte mit den Fingern betreten an dem Stoff seiner Tunika.

„Deswegen waren die Ritter also hinter dir her. Was haben die denn dagegen, wenn du dir das Fest ansiehst?"

„Nun…", Jetzt befand sich Lourde in der Zwickmühle. Einerseits war es ermüdend sich nie jemanden anvertrauen zu können und bei Lian hatte er einfach ein gutes Gefühl, aber diese Gelegenheit zu nutzen war ausgeschlossen. Er trug einen gewissen Teil an Verantwortung für Grismina. Eine einfache Version würde als Erklärung reichen, doch gerade als er anfangen wollte, ließ ihn plötzlich das Geräusch knatschender Scharniere zusammen zucken. Ohne anzuklopfen stieß jemand die Tür auf und tat laut seine Ankunft kund. „Ich bins! Man, ich könnt kotzen. Diese verdammten Ritter versauen einem echt alles." Lourde überlegte irritiert woher ihm dieses vorlaute Mundwerk so bekannt vorkam.

„Ah, das ist mein Bruder!" Mit einem freudigen Lächeln stand Lian auf um den augenscheinlichen Störenfried zu begrüßen. „He, Demian, wir haben Besuch. Sei ein bisschen leiser, ja?"

Lourde fuhr innerlich entsetzt zusammen, als er sah, dass es sich bei Lians Bruder, der jetzt mit wackeligen, wankenden Schritten in das Haus trat, ausgerechnet um den unverschämten Kerl vom Mafuufest handelte.

„ER ist dein Bruder?" Lourde versuchte seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten, aber der Schreck über Demians Anwesenheit ließ ihn fahrig werden. Er hätte nie damit gerechnet diesem Flegel noch einmal zu begegnen und dann gleich zweimal am selben Tag. Sich so jemanden als Lians Bruder vorzustellen, ging nicht in seinen Kopf. Das musste ein böser Streich des Schicksals sein oder wollte Mafuu ihn damit wohlmöglich für sein infantiles Verhalten bestrafen? Auch Demian schien erkannt zu haben, um wen es sich bei Lourde handelte, denn das gerade noch angetrunkene Grinsen in seinem Gesicht wurde schlagartig ernst. „Was zum…? Hey, Lian. Was macht'n der Schnösel hier?"

„Ich habe ihn auf dem Fest kennen gelernt und zu uns eingeladen. Ist das ein Problem für dich?" Lian schien das brüske Verhalten ihres Bruders kaum zu überraschen.

„Eingeladen? Den? Wegen diesem vernagelten Dentrianer rennen die Ritter jetzt überall da draußen rum und verderben uns das Fest!" Demian ignorierte seine Schwester und schritt auf Lourde zu. „Und der Penner sitzt gemütlich in MEINER Wohnung."

Lourde schluckte. „Ver- was? Was erdreistet Ihr Euch, Ihr…" Er versuchte zu protestieren, doch Demian schien jetzt erst so richtig in Fahrt zu kommen. Mit einer Hand stieß er gegen seine Schulter. „Los, verschwinde von hier, oder ich helf dir nach!"

„Ich….ich denke gar nicht daran! Was soll das überhaupt? Ich wurde hier als Gast eingeladen!"

„Also mein Gast bist du nicht!"

„Aber meiner!" mischte sich Lian wieder ein und zog ihrem Bruder am Arm. „Beruhig dich erstmal. Du bist doch total betrunken!"

„Warum sollte ich mich beruhigen? Ich kann den Hanswurst nicht leiden! Wegen dem Kerl werden da draußen einfach so Typen verhaftet!"

Lourde schüttelte irritiert den Kopf und besann sich lieber darauf, den Streit nicht weiter ausarten zu lassen, wenn er nicht vor die Tür gesetzt werden wollte. Allerdings, wollte er überhaupt noch hier bleiben? Jetzt war er, wenn Demian die Wahrheit sagte, also nicht nur Schuld daran, das Fest vermiest und die Geschwister zum Streiten gebracht zu haben, sondern anscheinend hatte sein Ausriss auch dafür gesorgt, dass Unschuldige wegen ihm inhaftiert wurden. Er musste das wieder gerade rücken indem er ins Dentrium zurückkehrte, denn so hatte er sich seinen Ausflug nicht vorgestellt.

Entschlossen stand er von seinem Platz auf und stellte sich Demian entgegen, um die Wogen zu glätten, bevor er verschwinden würde. Er wollte nicht, dass Lian ihn für einen undankbaren Gast hielt. Um möglichst versöhnlich zu klingen, bediente er sich seiner höflichsten Art zu sprechen und straffte die Schultern. „Verzeiht bitte, dass ich für Diskrepanzen gesorgt habe. Ich schlage vor, wir legen diese Streitigkeiten wie unter Männern ab und dann werde ich unverzüglich das Haus verlassen." Er war in diesem Moment sehr stolz darauf, wie vorbildlich er sich den beiden Geschwistern gegenüber ausdrückte.

„Du willst dich prügeln?" platzte es erstaunt aus Demian heraus.

„…Bitte?"

„Na, jetzt geht's aber ab! Meiner Schwester wird das zwar nicht gefallen…", Demian ließ provokativ seine Fingerknöchel knacken, "…aber wenn du drauf bestehst, Schnösel."

Lourde fiel fast aus allen Wolken. Hatte der Fuorier ihm gerade wirklich unterstellt, sich wie ein Barbar mit den Fäusten schlagen zu wollen? Vor Fassungslosigkeit fehlten ihm schier die Worte um etwas gegen diese unverschämte Aufforderung zu erwidern. Wie kam der Rüpel bloß auf so eine abwegige Idee? Hatte er sich nicht gerade beispielhaft bei ihm entschuldigt? Der Gedanke machte ihm wieder klar, wo er hier war und mit welcher Sprache hier gesprochen wurde.

„Was ist jetzt? Glaubst du etwa, du kannst dich hier wie so ein oberwichtiger Gockel aufplustern und dann kneifen? Zeig mal was du wirklich drauf hast, oder sind alle Dentrianer feige Schweine, hä?"

„Demian, jetzt lass ihn doch endlich! Das ist albern", kam Lian ihm zu Hilfe, aber Lourde spürte wie die Wut über Demians Worte ungewollt in ihm hoch kochte und er war fest entschlossen diesem frechen Burschen eine Lektion zu erteilen.

„Jetzt reicht es aber! Ich lasse nicht zu, dass Ihr mich und meine Herkunft weiter beleidigt! Wenn Ihr schon Eure Kräfte mit mir messen wollt, dann bitte wenigstens in einem angemessen Duell, Herr Barbar. Ich kämpfe nicht mit bloßen Händen gegen Euch sondern mit dem Degen!" Ein angespanntes Lächeln spielte um Lourdes Lippen. In einem Fechtkampf konnte ihm ein einfacher Straßenjunge nichts vormachen, immerhin sprach sein Fechtlehrer nicht ohne Grund in den höchsten Tönen von seinen Qualitäten. Er hatte sich in den Trainingsstunden als ausgezeichneter Schüler bewiesen und war dafür mit Lob und Anerkennung gerühmt worden. Demian würde eine Niederlage einstecken und sich bei ihm entschuldigen müssen.

„Häh? Und wo willst du einen Degen hernehmen, du Schlaumeier? Dann müssen wir uns wohl mit nem Besenstiel prügeln."

„Hey, Jungs, ihr seid doch echt verrückt. Dann geht wenigstens in den Hinterhof, bevor ihr das Haus in Einzelteile zerlegt." Lian seufzte resigniert und machte keine weiteren Anstalten, den Streit zu schlichten. Bei einem Bruder wie Demian war es vermutlich reine Zeitverschwendung an sein gutes Gewissen zu appellieren. „Wenn ihr fertig damit seid euch die Schädel einzuschlagen, könnt ihr wieder reinkommen. Ich leg schonmal Pflaster für euch bereit."

„Wenn der Feigling nicht vorher auf die Idee kommt zu kneifen."

Prompt hatte sich Demian zwei hölzerne Stäbe aus einer Ecke des Raumes gegriffen und war zu einer Tür neben der Küchenzeile geschlendert. Lourde wollte gar nicht wissen, wozu diese Stäbe sonst verwendet wurden und es stellten sich unweigerlich Bilder in seinem Kopf ein, die Demian als bösartigen Schläger und Dieb zeigten. Aber der Grobian hatte mit einer Sache recht, kneifen konnte er jetzt nicht mehr, sonst stände er als der Feigling da, für den Demian ihn hielt. Also nahm Lourde seinen Mut zusammen und folgte ihm durch die Tür in einen kleinen Hinterhof.


Draußen schlug ihnen die herbstliche Kälte entgegen und Lourde erkannte voller Missmut, dass es in der Zwischenzeit stark regnete. Nun sah er seine Chance schwinden Demian in einem Duell zurechtzuweisen. Die dicken Regentropfen die auf ihn niederprasselten durchnässten ihn nicht nur, sondern behinderten auch seine Sicht. Fragend blickte er zu Demian, der zielstrebig auf einen Bretterverschlag auf einer Seite des Hofes deutete, der ein wenig Schutz vor dem Regen bot. „Da rüber!"

Lourde nickte. Sie stapften zum Verschlag, wo Demian ihm gleich mit einem herausfordernden Blick die Stöcker hinhielt. „Ich versuch mich auch zurückzuhalten, Schnösel. Wir wollen ja nicht, dass du noch nen Kratzer abbekommst oder deine perfekte Frisur ruiniert wird. Obwohl du eigentlich selber Schuld bist, mich herauszufordern."

„Es ist mir schon klar, dass Ihr es so drehen wollt, wie es Euch am besten passt. Dabei wart Ihr doch derjenige der überhaupt erst damit angefangen hat".

Lourde nahm einen der Stöcker entgegen und ging in Stellung, so wie er es gelernt hatte.

„Hey, du hast mich angerempelt und beschimpft, schon vergessen? Und außerdem, wer wollte das hier denn klären wie ein Mann und meine Schwester beeindrucken? Jetzt hör auf rumzuheulen und fang lieber an, damit wir es schnell hinter uns haben", entgegnete Demian großspurig.

Lourde ignorierte die dreisten Anschuldigungen. Jetzt galt es sich auf den Kampf zu besinnen. Er wollte Demian seine Frechheiten austreiben und ihn als das bloßstellen, was er war: nur ein vorlauter Wichtigtuer. Er hielt den Stock fest in einer Hand und hob ihn vor sich. In seinem Bauch machte sich sogleich ein unangenehmes Kribbeln breit, denn ihm wurde gerade bewusst, dass er noch nie außerhalb der Trainingshalle hatte kämpfen müssen. Er war zwar sicher mit den einzelnen Schritt- und Stichabfolgen und beherrschte alle Übungen sicher auch locker mit verbundenen Augen, aber trotzdem erschien ihm dieser Kampf als ungewohnt spannend. Es war um nicht zu sagen aufregend. Das Blut in seinen Adern pochte und das obwohl es noch nicht einmal begonnen hatte. Demian ließ den Stock unterdes lässig in der Hand kreisen und machte keine Anstalten Haltung einzunehmen, nur ein spöttisches Grinsen lag auf seinem Gesicht. Von dem plötzlichen Ansturm von Adrenalin angespornt, trat Lourde vor und versuchte einen ersten Treffer gegen Demians Waffe zu landen. Dieser konnte den Angriff aber problemlos abwehren und stieß Lourde mit der Wucht seiner Waffe ein Stück zurück, so dass er überrascht ins Straucheln geriet.

„Du musst den Stock weiter unten halten, dann hat es auch mehr Biss", kommentierte Demian Lourdes erfolglosen Angriff. „Oder war es Absicht, dass du wie ein Mädchen zuhaust?"

Lourde hatte nicht mit der Stärke seines Gegners gerechnet und eine verlegene Röte färbte seine Wangen, als er auf den vermeintlichen Fehler aufmerksam gemacht wurde. "Das weiß ich selber!" Er wechselte den Griff um seine Waffe und griff erneut an. Diesmal konnte er Demian besser einschätzen und legte mehr Kraft in jeden Schlag. Doch auch die wurden einfach abgewehrt und mit noch kräftigeren Schlägen erwidert, die Lourde alle Mühe machten seine Verteidigung zu halten. Es war zum Verrückt werden, dieser Demian hielt sich doch wirklich an keine einzige Abfolge die Lourde kannte und traktierte ihn auch weiterhin mit frechen Sprüchen, die ihn aus dem Konzept brachten. Wie konnte ein Straßenjunge, der unmögliche eine ebenbürtige Lehre im Fechten genossen hatte, so vorausschauend parieren, während es Lourde ein Rätsel blieb, wohin der nächste Angriff seines Kontrahenten ging?

Aber noch hatte er nicht aufgegeben. Dank seinem Fechtlehrer hatte er so manch einen Trick auf Lager, der Demian noch überraschen würde. Geschickt drehte er sich an seinem Gegner vorbei, um an dessen Rückseite zu gelangen, dort würde er ihm einen gekonnten Treffer verpassen. Nur war plötzlich Demians Fuß genau vor seinem und ließ ihn stolpern. Ein nachträglicher Tritt in die Kniekehle und Lourde ging unbeholfen zu Boden. „He, das ist unfair! Ihr müsst Euch an die Regeln halten!"

„Ich lach mich tot. Kannst ja aufgeben, dann hör ich auf dich zu vermöbeln." Demian grinste siegessicher. Im Gegensatz zu Lourde schien der Kampf ihm keine großen Mühen zu bereiten. Wo er schon keuchte um wieder auf die Beine zu gelangen, war Demian anscheinend noch kein bisschen der Atem ausgegangen. Ein schmerzhaftes Pochen in Lourdes Kniescheiben erinnerte ihn an seine vorherige Kletteraktion auf dem Fenstersims. Trotzdem machte er sich daran den Kampf fortzuführen, schlug weiter zu, wich Demian aus und erwischte seinen Gegner in den seltensten Fällen sogar. Die meisten Treffer musste allerdings er selber einstecken. Mehr und mehr Schweißperlen bildeten sich auf seiner glatten Stirn, aber er würde jetzt um alles in der Welt nicht aufgeben. Es ging um seine Ehre. Aber das war nicht der einzige Grund. Hier und jetzt war Lourde auf sich alleine gestellt. Keine Stimmen in seinem Rücken, die ihm sagten -Tu dies nicht, tu das nicht, tu dir nicht weh, sei vernünftig- und all die anderen Predigten. Bei Mafuu, endlich konnte er tun und lassen was er wollte. Ohne Zweifel war dieser Kampf unvernünftig, aber er wollte in diesem Moment nichts anderes tun als seine Kräfte einsetzen, den Schweiß auf seiner Stirn fühlen und dem keuchenden Atem freien Lauf lassen. Er fühlte sich lebendig wie selten zuvor und er genoss es auf eine Art, die er selber nicht verstand. Mit neuem Schwung rannte er wieder auf Demian zu, zog den provisorischen Degen mit einem Schrei in die Luft…und sah blitzende weiße Sterne vor seinen Augen, als Demian ihm seinen Stock unter das vorgestreckte Kinn schlug.

Der Stock glitt aus Lourdes Händen, als er zurücktaumelte und wehleidig seinen Kiefer abtastete. Seine Zunge, auf die er sich beim Schlag gebissen hatte, pochte schmerzhaft. Dann sah er Demians Waffe, die direkt gegen seine Stirn zeigte.

„Hab dich, Schnösel. Ich sags ja immer, ihr Dentrianer seit Schlappschwänze", brüstete sich Demian. „Das wars dann wohl."

„Oh, schon vorbei? Schade, fing gerade an interessant zu werden", mischte sich plötzlich eine fremde Stimme in das Geschehen mit ein. Hinter dem Verschlag kam die dunkel gekleidete Gestalt eines Mannes zum Vorschein. Lässigen Schrittes trat er, die Hände in den Hosentaschen, näher an die beiden heran und lächelte verschmitzt.

„Was willst'n grad du hier, Leander? Hast du nichts Besseres zu tun als rumzurennen und dich in die Kämpfe anderer Männer einzumischen?" blaffte Demian den Fremden an und nahm den Stock runter, so dass Lourde nicht mehr in der Zwickmühle steckte. Anscheinend war der andere Mann hier ein bekanntes Gesicht, doch Lourde hatte ihn eindeutig nie zuvor gesehen. Es konnte sich hier nur um einen weiteren Fuorier handeln. Die Kleidung war schlicht, außerdem nass vor Regen und die lose zusammengebundenen, längeren Haare wirkten strähnig und unordentlich.

Lourde nutzte den Moment um seinen Atem wieder zu sammeln, denn jeder Atemzug hörte sich in seinen Ohren wie der Wind an, der durch die rissigen Bretter des Holzverschlags pfiff.

Der Mann namens Leander zuckte mit den Schultern. „ Einmischen? Nein, der Kampf war doch beendet oder etwa nicht?"

„Ich habe wohl verloren", brummte Lourde in bitterer Einsicht. Dass er den Kampf nicht gewonnen hatte, musste an Demians unfairem Kampfstil gelegen haben. Es war keine besonders anständige Art sich mit Tritten und Schubsern zur Wehr zu setzen. Hätte hier ein korrekter Kampf stattgefunden, wäre Lourde sicherlich als Sieger hervorgegangen. Oder? Wenn er an seinen Fechtlehrer dachte, der ihn nach jedem erfolgreichen Training bejubelte als wäre er ein Degen-Messias, war er sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob sein Lehrer ihn vielleicht einfach gewinnen lassen hatte. Wie sonst konnte man sich den beschämenden Verlauf dieses Duells erklären? Lourde presste die Lippen zusammen, schüttelte die Zweifel aber ab um sich auf das Gespräch der beiden anderen zu konzentrieren.

„Papperlapapp!" Demian war wieder ganz in seinem Element, als er sich trotzig vor Leander aufbaute. „Dich hat keiner eingeladen, also verzieh dich wieder."

„Seit wann brauche ich eine Einladung um mir ne Prügelei anzusehn? Aber wenn ich euch bei eurem Date gestört habe, tuts mir natürlich unendlich leid", konterte Leander und lächelte Demian ironisch an. Der schnappte sofort zurück. „Hast recht, du störst. Das Unterhaltungsprogramm ist vorbei, kannst dir also jemand anderen suchen und dem auf den Wecker gehen. Wir gehen jetzt jedenfalls rein und heben noch nen paar zusammen." Demian holte demonstrativ mit der Hand aus um seiner Rede Nachdruck zu verleihen und stützte den Ellenbogen dann auf Lourdes Schulter ab, der sich neben den beiden gerade völlig überflüssig fühlte und die Diskussion stumm verfolgte. Anscheinend hatte Demian in Gegenwart dieses Leanders vergessen, dass er Lourde bis vor kurzem ebenfalls nicht leiden konnte.

„…..Könnten Sie mich bitte loslassen?" Unbehaglich trat Lourde ein Stück zur Seite und Demians Arm rutschte wieder von seiner Schulter. Der Blick des Jungen traf ihn dafür scharf.

„Ohja, hört sich ja nett an. Bin auch eigentlich auch nur hier, um deine schnuckelige Schwester zu besuchen. Ist sie da?" fragte Leander lässig, woraufhin sofort eine deutliche Spannung in der Luft lag.

„Meine Schwester?"

„Ja, das hübsche Dummchen, von dem du erzählt hast. Dachte ich besuch sie mal und mach mir einen netten Abend mit der Kleinen."

„Ich geb dir gleich Dummchen, du Mistkerl!" bellte Demian. Wie auf ein Stichwort machte er einen energischen Schritt auf Leander zu. Lourde kniff instinktiv die Augen zusammen und rechnete mit dem Beginn einer richtigen Prügelei, dessen Verlauf er sich bei den beiden Fuoriern gar nicht vorstellen wollte. Aber als er wieder aufsah, hatte noch keiner der beiden zum Schlag ausgeholt.

„Ruuuhig, war nur Spaß, okay?"

„Ja, super! Pass auf, sonst fängst du dir noch eine!"

„Fang du dich lieber wieder. Falls es dir entfallen ist, heute ist kein guter Tag um zuviel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Jedenfalls, wenn man nicht auf die Begegnung mit einem Ritter steht." Das schien Argument genug für Demian zu sein, sich wieder zu beruhigen. Lourde hingegen durchzuckte es innerlich.

„Ritter? Dann sind sie tatsächlich noch unterwegs?" Er musste an Demians Vorwürfe zurückdenken und das er sein Vorhaben, endlich wieder zurück zu kehren um der Unruhe ein Ende zu setzen, für einen kindischen Kampf gegen den Fuorier vernachlässigt hatte.

„Na, das sag ich doch die ganze Zeit!", murrte Demian. „Man, die nerven vielleicht."

„Solange die nicht gefunden haben wonach sie suchen, werden die sicher noch die ganze Nacht Leute aus ihren Betten jagen oder verhaften. Und die sind ziemlich mies drauf. Ein Grund mehr, keinem über den Weg zu laufen. Wer hier nicht von denen überrascht werden will, sollte sich besser ne ruhigere Ecke suchen wo man Spaß haben kann. Ich jedenfalls, werde das tun. Wie siehts aus, kommt ihr mit?"

„Mach was du willst, ich bleib hier. Wäre ja noch schöner, wenn ich mich von diesen blöden Rittern ins Boxhorn jagen lassen würde."

„Tja, zu schade", spottete Leander, ehe er sich schließlich Lourde zuwandte. Die Augen des Mannes waren stechend und kühl und jagten ihm einen leichten Schauer über den Rücken. "Und was ist mit dir? Möchtest du auch lieber daheim am warmen Herd hocken und darauf warten, dass die Ritter dich filzen, während das lachende Leben draußen tobt oder möchtest du ein bisschen was erleben, hm? Ich kenne mich hier gut aus und kann dir den Weg zeigen, ohne dass uns auch nur eine Wache über den Weg läuft."

Lourde starrte misstrauisch zurück. Leanders Gestalt machte nicht den vertrauenerweckensten Eindruck. Auch wenn er jetzt ein gewinnendes Lächeln auf seine Lippen zauberte, wurde ihm bei seinem etwas unheimlichen Anblick doch mulmig zumute.

Aber seine Aufforderung wirkte verlockend. Wie mochte dieses lachende Leben aussehen, von dem er sprach? Andererseits wartete Lian im Haus darauf, dass er wiederkommen würde. Er musste sich zumindest gebührend von ihr verabschieden und danach ins Dentrium zurückkehren.

„Danke für das Angebot, Herr…Leander? Aber seine Schwester wartet bereits auf mich und ich möchte meiner Gastgeberin nicht unhöflich erscheinen." Der Vollständigkeit halber fügte er hinzu: "Sie hat bei weitem einen angenehmeren Charakter als ihr Bruder."

„Soso, deswegen habt ihr euch also geprügelt. Wenns um seine Schwester geht, versteht der wohl keinen Spaß." Leander lüpfte eine Augenbraue.

Lourde blickte ihn fragend an, erst dann fiel der Groschen und er schüttelte vehement den Kopf. „Nein nein, das ist…."

„Pass mal auf, ich kenne auch ein paar Mädchen mit richtig angenehmen Charakterzügen. Die kann ich dir auch vorstellen, wenn du dich ein bisschen einsam fühlst. Die haben jedenfalls keine rüder von denen sie bewacht werden", argumentierte Leander beharrlich.

„Hörst du dem etwa immernoch zu? Lass ihn reden und komm endlich mit rein, Schnösel. Die Weiber, die der Typ kennt, sinds eh nicht wert." Demian hatte bereits die halbe Strecke bis zum Haus zurückgelegt und wartete ungeduldig im Regen. Wenn diese Auseinandersetzung eins gebracht hatte, dann dass Demian Lourde nun plötzlich doch als Gast akzeptierte, und wenn auch nur um Leander eins auszuwischen.

„Oh, oh, deine Nanny hat gerufen, dann tu lieber was sie sagt", höhnte dieser.

Beabsichtigt oder nicht, die Worte hinterließen einen bittereren Nachgeschmack in Lourdes Mund. Mit einer leisen Entschuldigung wandte er sich ab um Demian schnellen Schrittes einzuholen, bevor der kalte Regen ihn noch völlig durchnässte. Doch zu seiner Überraschung kam ihnen Lian bereits aus der Tür entgegen. Sie wirkte nervös und hektisch und eilte schnell zu ihrem Bruder.

„Sie stehen vor unserer Tür. Ritter! Sie wollen, dass ich die Tür aufmache!"

„Was!? Mach bloß nicht auf. Wenn die uns mit dem Schnösel zusammen erwischen sind wir geliefert", platzte es aus Demian heraus.

Lourde erstarrte. Sie waren wirklich da. Damit war es zu spät um Lian noch aus der Sache herauszuhalten. Wenn sie ihn in ihrem Haus fanden, lag die Schuld für sein Verschwinden automatisch bei den zwei Geschwistern. Auch ohne Demians Warnung wusste er, dass die Soldaten unerbittlich sein konnten und sein würden.

„Das ist alles deine Schuld! Du machst nichts als Ärger!" Demian ging auf Lourde zu und packte seine Schulter. „Jetzt badest du das gefälligst auch wieder aus!"

„Aber ich habe doch gar nichts….", stotterte Lourde, obwohl er wusste, dass Demian Recht hatte. Sein Ausbrechen alleine hatte diese Welle von Miseren im Fuorium ausgelöst. Warum musste es denn auch so schwer sein, ein bisschen Freiheit zu genießen? Anscheinend war es ein zu eigensinniger Wunsch, betrachtete man die Wichtigkeit seiner Pflichten im Dentrium. Es war endgültig an der Zeit das Ganze in Ordnung zu bringen. Nur wie sollte er jetzt so schnell…?


„Oh oh…ich glaub ich verzieh mich dann mal besser", riss ihn Leanders dunkle Stimme aus den Gedanken. Der stand nach wie vor unter dem Verschlag, machte aber gerade Anstalten zu gehen. In dem Moment wusste Lourde was er zu tun hatte. „Wartet bitte!" Entschlossen wandte er sich an Leander "Ihr habt doch eben gesagt, Ihr kennt Euch hier aus. Könnt Ihr mich ungesehen von hier fort bringen, bevor die Ritter mich finden?"

Mit zuckenden Schultern wurde Lourdes Bitte zur Kenntnis genommen. Bildete sich Lourde das nur ein, oder verzog sich Leanders Mund kaum merklich zu einem Lächeln? "Klar, ich habe es dir ja angeboten. Ich schlage aber vor, wir beeilen uns. Das wäre gesünder für uns alle."

"Willst du wirklich gehen? Und wenn Sie dich doch erwischen?" Lians Stimme klang besorgt. „Wir können dich hier vielleicht irgendwo verstecken."

„Nein, Lian. Ich will euch keine weiteren Unannehmlichkeiten bereiten. Wenn ich erst einmal zurück im Dentrium bin, wird sich die Sache schnell geklärt haben und wieder Ruhe einkehren. Versprochen."

„Aber…"

„Lass ihn doch. Dem passiert schon nix. Und wenn, dann ist das auch nicht mehr unser Problem", feixte Demian.

„Du bist gemein! Warum sagst du sowas?" Lian stieß gegen die Schulter ihres Bruder. „Lourde, ich hoffe du bekommst im Dentrium keinen Ärger. Wenn du willst, kannst du jederzeit wieder bei uns vorbeikommen."

„Das könnte schwierig werden, aber keine Sorge, mehr als monatelangen Hausarrest werde ich wohl nicht bekommen", murmelte Lourde möglichst gelassen, in Wahrheit frustrierte ihn dieser Gedanke so sehr, dass er fast angefangen hätte zu weinen. Seine feuchten Augen fielen dank des Regen nicht weiter auf. Natürlich würde er nicht wieder auf das Fest gehen dürfen, geschweige denn in das Fuorium. Sein Zimmer erwartete ihn mit seiner gewohnten Eintönigkeit.

„Ich störe diese herzzerreißende Verabschiedung ja nur ungern, aber können wir uns jetzt beeilen?" Leander verschränkte die Arme vor der Brust und räusperte sich ungeduldig.

„Er hat Recht. Bitte lasst die Ritter nicht länger warten, sonst schöpfen sie noch Verdacht."

Lourde verbeugte sich rasch vor seinen Gastgebern und eilte dann Leander nach, der sich geschickt einen Weg durch die Hinterhöfe der Bauten bahnte. Lourde konnte mit Erleichterung feststellen, dass die rauen, nach Einlass verlangenden Stimmen Schritt für Schritt schwächer wurden und bald gänzlich nicht mehr zu hören waren.


Die Gegend durch die Leander ihn führte war ihm völlig fremd, wie eben jeder Weg im Fuorium, also musste er sich voll und ganz auf seinen Führer verlassen. Dieser gab sich schweigsam, drehte sich allerdings immer wieder zu seinem Schützling um, als wolle er sich über dessen Anwesenheit vergewissern. Immer dann wenn Lourde den Blick neugierig erwiderte, rang sich Leander nur ein schiefes Lächeln ab und setzte seinen Weg umso schnelleren Schrittes fort. Allmählich machte sich Lourde Gedanken, wie lange sich der Weg bis zum Dentrium hinziehen und wann der dichte Wald aus Betonhäusern endlich abreißen würde. Nicht nur, dass er schrecklich in seinen nassen Sachen fror, ihm stieg zudem schon seit einer Weile ein unangenehmer Geruch in die Nase. Lourde bildete sich sogar ein, dass er immer schlimmer wurde, je weiter sie liefen. Bald hielt er schon die Luft an, weil es fast nicht mehr auszuhalten war.

Gerade als Leander eine hölzerne Pforte passierte und Lourde hinter ihm hindurchschlüpfte, war der ungewohnte Gestank so überwältigend, dass eine Welle von Übelkeit ihn zum würgen brachte.

„Krieg dich wieder ein, Lourde. Das ist doch bloß der liebliche Geruch faulender Lebensmittel", gab ihm Leander den Grund für die üblen Gerüche preis. Hinter der hohen Pforte aus Holz türmten sich bereits Berge aus widerlich stinkenden Abfällen und modrigem Sperrholz. Das Ganze vermischte sich zu einem süßsauren, fauligen Pesthauch, der Lourde beinahe die Sinne raubte. Bevor es ihn übermannen konnte, zog er ein parfümiertes Tuch aus seiner Tunika und hielt sie sich vor die Nase. Leider schaffte die dünne, duftende Seide nur wenig Abhilfe und er wagte kaum zu atmen.

„Warum bei allen Göttern, befinden wir uns auf der Mülldeponie? Die liegt ganz sicher nicht auf dem Weg zurück ins Dentrium!" stellte Lourde seinen Führer ungehalten zur Rede. Als er jedoch keine Antwort seitens Leander bekam, beschlich ihn ein ungutes Gefühl. „Ich möchte jetzt wieder zurückgehen", stammelte er verwirrt.

„Hey, keine Sorge. Das ist eine Abkürzung. Von hier sind wir in Nullkommanichts wieder vor deiner heimischen Pforte. Halt du nur dein Tüchlein schön vor die empfindliche Nase und lass mich dich führen. Hier sucht ganz bestimmt kein Ritter nach deiner Spur." Leander versuchte ihn anscheinend mit einem beschwichtigenden Lächeln zu beruhigen, doch in dem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht des Fremden wirkte es eher verschlagen und heimtückisch. Mit einem Mal beschlich Lourde ein ungutes Gefühl.

Das keiner hier nach ihm suchen würde, konnte er sich vorstellen. Ein passendes Örtchen für eine Entführung, noch passender wenn das Opfer des Entführers sich sogar freiwillig bis hierhin bringen ließ. Lourde erahnte, dass er es Leander in seiner Unachtsamkeit viel zu einfach gemacht hatte. Jetzt waren die Chancen auf ein Entkommen verschwindend gering und jede Sekunde war kostbar. In einer hektischen Drehung machte Lourde auf den Absätzen kehrt und wollte sich gerade zurück in die Gassen der Slums flüchten. Doch mit wild klopfendem Herzen musste der Junge feststellen, dass eine weitere Person seinen Weg durch die Pforte versperrte. Er hatte nicht gemerkt, dass sich noch jemand herangeschlichen hatte. Wie ein bedrohlicher Schatten stand der Fremde in seinem wehenden Überwurf vor ihm und Lourde sah geradewegs in das schaurige Krähengesicht. Erst nachdem er einen entsetzten Moment lang das Ungetüm einfach nur angestarrt hatte, begriff er, dass es sich um eine Maske handelte.

„Da ist er. Gib mir jetzt mein restliches Geld und mach mit ihm was du für richtig hältst." Leander scharrte unruhig mit der Stiefelspitze über den dreckigen Boden und hielt seine Hand auf. Lourde durchfuhr es wie ein Blitzschlag: Es waren Komplizen. Wie hatte er nur so dumm sein können, diesem Leander zu vertrauen?

„Jaja, bringen wir ihn aus der Stadt raus und dann bekommst du deinen wohlverdienten Rest."

„Halt mal. Das war so nicht abgemacht! Ich will den Anteil jetzt sofort haben." Leander protestierte gegen seinen Verbündeten, anscheinend waren sich die beiden nicht einig. Ob Lourde das zu seinem Vorteil nutzen konnte? Die Anwesenheit des Maskierten hatte in ihm einen so harschen Schrecken verursacht, dass ihm die Taubheit in die Beine kroch und eine Bewegung unmöglich erscheinen ließ. Angst klammerte sich an Lourdes zitternden Körper und obwohl er das schützende Tuch bei seinem Fluchtversuch fallen gelassen hatte, konnte der üble Gestank der Müllhalde seine konfuse Wahrnehmung nicht mehr erreichen.

„In Ordnung, hör mir zu, Lea. Du kannst dir noch etwas dazuverdienen und ich lad dich hinterher auf einen guten Becher Rum ein."

„Wie wäre es mit zwei Bechern Rum, meinem restlichen Lohn plus Bonus und du prägst dir endlich meinen richtigen Namen ein!"

„Klingt vernünftig, elender Raffzahn."


Lourde trat einen Schritt zurück. Wohin sollte er fliehen? Der Weg nach vorne blieb ihm versperrt und der Weg über die Müllhalde brachte ihn nur weiter fort von seinem schützenden Zuhause. Hätte er doch nie die Flucht vor den Rittern ergriffen. Der unheimliche Maskierte warf den Umhang ein Stück zur Seite und die darunter verborgene Hand schnellte in Lourdes Richtung vor. Erschrocken duckte sich Lourde vor der Hand und seine Reflexe erwachten wieder zum Leben. Der Maskierte erreichte ihn nicht, doch vor Lourdes Gesicht breitete sich nun eine Schwade fein schimmernden Puders in einer Wolke aus. Lourde prustete überrascht auf, der Fremde musste es in der Hand gehalten haben. Vor seinen Augen knisterte der feine Staub wie Kristalle in der Luft, doch er wollte nicht hier bleiben und herausfinden, was es damit auf sich hatte. Schnell machte er erneut kehrt und rannte mit großen Schritten an Leander vorbei und auf die offene Müllhalde zu. Sein Instinkt schrie ihn an, schneller zu laufen. Schneller, nur weg von diesem mysteriösen Mann mit der Maske. Er strauchelte, denn unter seinen Füßen wechselten sich harter Boden und weicher, rutschiger Abfall ab und erschwerten ihm die Flucht. Doch er traute sich nicht, langsamer zu laufen, geschweige denn über seine Schulter zu schauen ob er verfolgt wurde. Der Teufel mit der erschreckenden Vogelmaske saß ihm im Nacken. Bald hatte er das Gefühl sich in Zeitlupe zu bewegen, so als verzerre sich die Welt um ihn herum und zwang ihn auf der Stelle zu treten. Die Sicht um ihn herum wurde matter, begann zu verschwimmen, bis sich die Berge aus Schutt und Müll vor ihm in ein Meer tanzender Farben verwandelten und sich zu drehen begannen. Oder drehte er sich? Es erinnerte ihn an die hübschen, sich zur Musik windenden Gestalten, die er auf dem Festplatz gesehen hatte. Dann verschwand das Bild vor ihm in der Dunkelheit und sein Kopf löste sich in eine geistesabwesende Leere. Er blinzelte das letzte Mal um zu sehen wie der Boden in rasantem Tempo immer näher auf ihn zukam. Dann ein dumpfer Aufschlag, der nur in weiter Entfernung an Lourdes Ohren drang. Der letzte, verschwommen Gedanke, den er fassen konnte, galt dem Mafuufest und das er es jetzt sicher nie wieder besuchen dürfte.
"Die Entführung"

Das siebte Kapitel von Revenge of Rakazel, viel Spaß mit der Fortsetzung. Kapitel 8 kommt auch bald.
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